Die Perserkriege by Will Wolfgang
Autor:Will, Wolfgang
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406693359
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2016-07-31T16:00:00+00:00
Die Mauern Athens
Für Herodot hing schließlich die Entscheidung über Krieg und Frieden, Sieg oder Niederlage, Freiheit oder Unterwerfung vom Verhalten Athens ab. Die Athener konnten sich nicht wie die Peloponnesier hinter den befestigten Isthmos zurückziehen, ihre Stadt war dem Angriff des Xerxes am frühesten und am stärksten ausgesetzt. Zum Kampf blieb ihnen nur die Alternative: Auswanderung oder Kapitulation. Daß sie auf beides verzichteten, machte sie in den Augen Herodots zu den Rettern von Griechenland, und er beweist die Richtigkeit seiner Meinung mit einer Analyse besonderer Art. Das, was heute virtuelle Geschichte genannt wird, findet sich in klassischer Ausprägung bereits beim ersten Historiker Europas: «Ich muß daher offen meine Meinung sagen und darf die Wahrheit nicht verschweigen, so unangenehm sie den meisten hellenischen Städten klingen mag: Hätte auch Athen den Angreifer gefürchtet, hätten die Athener ihre Stadt verlassen oder hätten sie sich samt ihrer Stadt dem Xerxes ergeben, so hätte kein Hellene gewagt, dem König zur See entgegenzutreten. Und hätte Xerxes zur See keinen Gegner gefunden, so wären die Dinge zu Lande folgendermaßen gegangen. Die Peloponnesier konnten soviel Mauerzinnen, wie sie wollten, auf dem Isthmos errichten, die Lakedaimonier wären trotzdem von allen Bundesgenossen, Stadt um Stadt, im Stich gelassen worden, nicht aus freien Stücken, sondern aus Not, denn die persische Flotte hätte eine Stadt nach der anderen genommen. Und von allen verlassen, wären sie dann den Heldentod gestorben. Vielleicht hätten sie sich auch mit Xerxes verständigt, nachdem sie den Abfall aller anderen hellenischen Städte gesehen. In beiden Fällen wäre jedenfalls Hellas unter das persische Joch gekommen; denn ich kann nicht einsehen, welchen Nutzen die Mauer über den Isthmos haben sollte, wenn der König das Meer beherrschte. Daher ist es nur die reine Wahrheit, wenn man die Athener die Retter von Hellas nennt.» (Hdt. 7.139)
Athens Situation komplizierten 481 insbesondere die defätistischen Orakel aus Delphi. Ein erster Spruch der Pythia, der mit den Worten begann: «Elende, was sitzt ihr hier noch. An das Ende der Welt flieht!», war so entmutigend, daß die offizielle Delegation nicht wagte, ihn zu Hause zu melden. Als Bittende, mit Ölzweigen geschmückt, kehrten die athenischen Gesandten in den Tempel zurück und erhielten ein zweites, günstigeres Orakel. Dieses war für verschiedene Auslegungen offen, vermuten läßt sich, daß die überlieferte Fassung ihren letzten Wortlaut erst nach dem Krieg erhielt. Der entscheidende Satz bei Herodot lautet: «Nur die hölzerne Mauer schenkt Zeus seiner Tritogeneia (Beiname der Athene), sie allein bleibt heil zur Rettung für dich und die Kinder.»
Die Schlußfolgerungen, die die Athener aus dem Orakel zogen, waren unterschiedlich. Die einen folgerten, daß die von einem Palisadenzaun umgebene Akropolis gehalten werden könne, die Mehrheit, darunter vor allem Themistokles, erklärte die hölzernen Mauern metonymisch: Mit ihnen sei die Flotte gemeint. Die Deutung lag nahe, denn seit zwei Jahren rüstete Athen mit allen Kräften zur See, und so setzte sich diese Meinung auch durch. Die Warnung der professionellen Orakeldeuter, aus Attika auszuwandern, wurde verworfen. Athen entschloß sich zu einer Verteidigung auf dem Meer.
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